Als in unseren Breiten, um ca. 10 000 v. Chr., die Eiszeit zu Ende ging,
wandelte sich in Nordafrika das Klima. Es wurde wärmer und trockener. Steppen
und Wüsten begannen sich auszubilden. Die Menschen waren gezwungen, sich in die
Täler der großen Flüsse, z.B. des Nils, zurückzuziehen. Um alle ernähren zu
können, musste zusätzliches Ackerland gewonnen, Kanäle und Dämme gebaut werden.
Dafür reichten die Kräfte eines Dorfes nicht aus. Um 4000 v. Chr. entwickelten
sich einzelne Dörfer stärker als ihre Nachbarn; die Anführer begannen, immer
größere Gebiete zu kontrollieren. Um etwa 3400 v. Chr. gab es zwei mächtige
Königreiche, eines im Nildelta (Unterägypten) und eines weiter oben im Nildelta
(Oberägypten). Nach der Überlieferung eroberte um 3100 v. Chr. ein
oberägyptischer König namens Narmer aus Thinis Unterägypten und vereinigte die
beiden Reiche unter seiner Herrschaft. Die erste Hauptstadt dieses vereinigten
Königreiches wurde Memphis. Der Beginn des ägyptischen Kalenderjahres war mit
dem Beginn des Nilhochwassers gekoppelt. Es umfasste zwölf Monate zu je 30 Tagen
und fünf Zusatztage, an denen man das Nilfest feierte. Diese 365 Tage
entsprachen beinahe dem Sonnenjahr, der Zeit, in der die Erde einmal die Sonne
umkreist. Die Tageszeit wurde in 24 Stunden geteilt und mit Wasser-, Sand- oder
Sonnenuhren gemessen.
Historiker ordnen die Herrschergeschlechter in ein Altes, Mittleres und Neues
Reich. Während der etwa 300 Jahre dauernden Frühzeit, 3000-2649 v. Chr., wurden
die Einheit Ägyptens gefestigt und die politischen Strukturen des Staatswesens
geschaffen. Zu Zeiten des Alten Reiches (2649-2575 v. Chr.), war Ägypten ein
wohlhabendes Königreich mit der Hauptstadt Memphis. Kunst und Architektur
standen auf hohem Niveau, der Herrscher, Pharao genannt, besaß uneingeschränkte
Macht. In dieser Zeit wurden die Pyramiden erbaut, angefangen von der
Stufenpyramide des Pharao Dioser bei Sakkara bis hin zu den großen
Pyramidenbauten von Gise; auch die große Sphinx stammt aus dieser Zeit. Während
der 5. bis 10. Dynastie wurde die Stellung des Pharaos von den immer mächtiger
werdenden Adeligen und der einflussreichen Priesterkaste bedroht. Bürgerkrieg
und politische Zersplitterung waren die Folge. Mentuhotep, ein Herrscher von
Theben, vereinigte Ägypten schließlich wieder und leitete die Epoche des
Mittleren Reiches (2040-1640 v. Chr.) ein, eine der künstlerisch wertvollsten
und fruchtbarsten Perioden der ägyptischen Geschichte. Mit dem Nachlassen der
pharaonischen Macht setzte wieder der Verfall ein. Um 1650 v. Chr. stürmten die
kriegerischen Hyksos aus dem Vorderen Orient nach Ägypten. Sie sollten das Land
etwa 100 Jahre lang beherrschen. Die Invasion der Hyksos hatte aber auch
positive Seiten. Die Ägypter kamen erstmals mit Pferden und Streitwagen, mit
Spinnen und Weben und neuen Musikinstrumenten in Berührung. Neues Reich
(1550-1070 v. Chr.) Dies war das Zeitalter der größten militärischen
Machtentfaltung Ägyptens. Im Süden wurde Nubien erobert, Palästina und Syrien
sowie Teile Kleinasiens kamen unter ägyptische Gewalt. Den sonderbarsten
Abschnitt dieser Epoche bildete die Regierungszeit von Amenophis IV., der sich
selbst Echnaton nannte. Er versuchte, eine monotheistische Religion um den Gott
Aton einzuführen und gründete zur Verehrung dieses Gottes eine neue Hauptstadt:
Achet-Aton. Wahrscheinlich wollte er damit die übermäßige Macht der Priester von
Theben einschränken. Die Krise, die Echnatons Regierung verursacht hatte, wurde
nach seinem Tod überwunden, als sein Nachfolger Tutenchamun die Hauptstadt nach
Theben zurückverlegte und den Kult um Amun-Re wieder zur Staatsreligion erhob.
Die Pharaonen verloren immer mehr an Autorität, und um 1050 v. Chr. teilten sich
der Hohepriester von Theben und der Wesir von Unterägypten die Regentschaft über
Ägypten; der Pharao blieb nur nominell der Oberherrscher. Eine lange Periode der
Anarchie folgte (745-656 v. Chr.). Invasionen der Nubier, Assyrer und Perser
folgten.
Als Alexander der Große 332 v. Chr. nach seinem erfolgreichen Feldzug gegen die
Perser ägyptischen Boden betrat, feierte man ihn als Befreier. Nach seinem Tod
wurde das Land unter Alexanders General Ptolemäus, dessen Dynastie 300 Jahre
lang regierte, wieder zu einem selbständigen Königreich. Formell geriet Ägypten
unter griechischen Einfluss. Alexandria, die neue Hauptstadt, entwickelte sich
zu einem bedeutenden Zentrum für Bildung und Kunst. Trotzdem umwarben die
Ptolemäer die Einheimischen in gewisser Weise, indem sie eine neue
hellenistisch‑ägyptische Mischreligion einführten. Als nächste Eroberer kamen
die Römer - nach der Schlacht von Actium 31 v. Chr. und dem Tod Kleopatras, der
letzten Ptolemäerin. Der neue Herrscher, Kaiser Augustus, betrachtete das Land
als persönlichen Besitz und ließ Ägypten von einem nur ihm verantwortlichen
Präfekten regieren. Ägyptisches Getreide ernährte Rom mehrere Jahrhunderte lang,
während das Land selbst verarmte. 395 n. Chr. wurde Ägypten Teil des
Oströmischen Reiches. Viele nahmen das Christentum an, doch die religiöse
Zugehörigkeit des modernen Ägypten entschied sich erst einige Jahrhunderte
später ‑ 641 n. Chr., als die Araber eindrangen. Die Macht von Byzanz wurde
zerstört und das Land allmählich zum Islam bekehrt. Einer christlichen
Minorität, den Kopten wurde erlaubt, ihren Glauben auszuüben. Unter der
Herrschaft einheimischer Statthalter der Kalifen wurde Ägypten einflussreich in
der islamischen Welt. 1171 bestieg der Kurde Saladin, der Begründer der
Aijubiden‑Dynastie, den Thron von Ägypten und brachte durch mehrere Feldzüge
Syrien, Mesopotamien sowie große Teile von Arabien und Nordafrika unter seine
Gewalt. Nach seinem Tod löste sich das Imperium bald wieder auf, und um 1250
übernahmen die Mamaluken die Macht, eine Militärkaste aus ehemaligen türkischen
und kaukasischen Sklaven. Nachdem Ägypten 1517 von den Türken besiegt und dem
Osmanischen Reich einverleibt wurde, verfiel es in politische
Bedeutungslosigkeit. 1798 besiegten die Streitkräfte Napoleons in der Schlacht
bei den Pyramiden die Mamaluken; Napoleon Bonaparte erhob Anspruch auf das Land
und besetzte ganz Ägypten. Die französische Besatzung endete 1801 nach dem Sieg
der englischen Flotte unter Admiral Nelson. Mohammed Ali, ein türkischer
Offizier, der gegen die Franzosen gekämpft hatte, ernannte sich 1805 selbst zum
Statthalter und setzte Reformen durch. Frankreich und Großbritannien
wetteiferten um die Kontrolle des Landes, die Briten konnten sich Ägypten im
Jahr 1914 schließlich als Protektorat einverleiben. Auch nach dessen Auflösung
blieb britisches Militär noch Jahrzehnte lang präsent. Der letzte regierende
König, Faruk wurde 1952 gezwungen, abzudanken. 1953 schaffte eine Gruppe von
Offizieren die Monarchie ab und erklärte Ägypten zur Republik. 1954 wurde Oberst
Gamal Abd el Nasser Ministerpräsident; er führte das Land bis zu seinem Tod im
Jahr 1970. Die Nahostkriege gegen Israel belasteten das Land in jüngerer Zeit
stark, doch das Übereinkommen von Camp David, das Ägyptens Präsident Sadat und
Israels Premierminister Begin unter der Schirmherrschaft von US-Präsident Carter
1979 unterzeichneten, bewirkte mehr Stabilität.
Die Menschen im alten Ägypten lebten nach Schichten getrennt. Die zentrale Figur
an der Spitze war der Pharao (=großes Haus). Er wurde wie ein Gott verehrt, da
man glaubte, er sei der Sohn des Sonnengottes und durch ihn vollziehe sich der
göttliche Wille. Er besaß unbegrenzte Macht. Leben, Eigentum und Arbeitskraft
der Untertanen sowie das gesamte Land gehörten ihm.
Er war oberster Priester und setzte alle anderen Priester in ihr Amt ein.
Er erließ die Gesetze, an die sich die Wesire als oberste Richter im Staat
zu halten hatten.
Er war oberster Befehlshaber über Bauaufgaben (Tempel, Pyramiden, Deiche,
Kanäle)
Er bestimmte die Steuerabgaben und war oberster Befehlshaber des Heeres.
Um seine vielfältigen Aufgaben bewältigen zu können, setzte er Beamte ein. Sie
erhielten von ihm Befehle und waren zur Berichterstattung verpflichtet. Seine
höchsten Beamten waren die Wesire. Vom König wurden ihnen eine Vielzahl von
Aufgaben übertragen. Das Amt des Wesirs war fast ausnahmslos von Angehörigen der
königlichen Familie besetzt.
Den Wesiren unterstanden die Staats-, Tempel- und Militärbeamten. Alle Beamten
waren schreibkundig. Diejenigen, die sich verdient gemacht hatten, bekamen Land
vom Pharao geschenkt. Als Entgeld für ihre Dienste erhielten sie Dinge aus den
Abgaben der Bauern und Handwerker (Getreide, Ö1, Kleidung etc.)
Insgesamt wies der Beamtenapparat eine hierarchische Struktur auf. Jeder Beamte
erhielt Anweisungen von seinem Vorgesetzten und gab selber Anordnungen an die
ihm Untergebenen. Lediglich die Beamten, die als Gauleiter eingesetzt waren,
erwarben sich in einigen Phasen eine gewisse Macht und Unabhängigkeit. Ihre
Hauptaufgaben waren die Listenführung über die Abgaben der Bauern und
Handwerker, die Beaufsichtigung der Ablieferung und Lagerung der Abgaben in den
Schatzhäusern sowie die Landvermessung nach den Nilüberschwemmungen.
Jeder Ägypter, auch Männer niederer Herkunft konnten Beamte werden.
Voraussetzung war jedoch, dass sie lesen und schreiben konnten.
Handwerker und Bauern, Fellachen genannt, lebten in ärmlichen Verhältnissen.
Ihre Produkte waren mit Steuern belegt: die Ernte und das Vieh der Bauern, die
Herde der Hirten, die Waren der Handwerker und die Fänge der Fischer. Da das
Geld noch nicht erfunden war, mussten die Abgaben in Form von Naturalien
geleistet oder mit Arbeit bezahlt werden. Diese Arbeit erstreckte sich auf
Kriegsdienste, Bau von Tempeln und Pyramiden sowie Bewässerungsanlagen. Für
diese Dienste erhielten die Bauern und Handwerker nur Verpflegung.
Die Handwerker arbeiteten in staatlichen Werkstätten. Sie durften ihre Produkte
nicht selber verkaufen, sondern mussten den Handel Kaufleuten, die im Auftrag
des Pharaos arbeiteten, überlassen.
Die Fellachen besaßen kein Eigentum. Sie bewirtschafteten als Pächter das Land
der Beamten bzw. des Pharao. Auch dafür mussten sie Abgaben leisten, so dass
häufig nur das zum Leben unbedingt Notwendige für sie selbst übriglieb. Der
Ernteertrag war von der Nilüberschwemmung abhängig. Zeiten geringer
Überschwemmung konnten zu Missernten und Hungersnöten führen.
Die Basis der Gesellschaftspyramide bildeten die Sklaven. Sie waren unfrei,
hatten keine Rechte und kein Eigentum. Sie wurden in Kupfer- und Goldminen, in
der Armee, auf den Gütern der Beamten oder zur Eintreibung der Abgaben
eingesetzt. Häufig mussten sie es ertragen, mit Peitsche und Stock zur Arbeit
angetrieben zu werden.
Die Ägypter legten großen Wert auf die Errichtung ihrer Grabstätten, da sie nach
ihrer Überzeugung dort für die Ewigkeit wohnten. Um die Leichen vor Witterung
und wilden Tieren zu schützen, bauten die Ägypter Mastabas, das sind flache,
viereckige Gräber mit schrägen Seiten aus Lehmziegeln. Häufig waren sie außen
verziert. Die Mastabas wurden immer größer und immer mehr wurde Stein als
Baumaterial verwendet.
Das älteste Grab in Form einer Pyramide war die Stufenpyramide von Sakkara, erbaut für den König Djoser. Sie bestand aus sechs übereinandergeschichteten Mastabas, besaß eine 126 Meter mal 105 Meter große Basisfläche und eine Höhe von fast 60 Metern. Im Innern befanden sich Schlaf-, Aufenthalts- und Speicherräume. Der umliegende Tempelbezirk umfasste ca. 15 Hektar und war von einer 10 Meter hohen Kalksteinmauer umgeben.
Insbesondere die Pharaonen begannen schon mit Beginn ihrer Regierungszeit, ihre Grabstätten in Form von Pyramiden zu planen. Die bekanntesten sind wohl die Pyramiden von Gise, die für die Pharaonen Cheops, Chephren und Mykerinos um 2500 v. Chr. erbaut wurden. Alle waren nach den Himmelsrichtungen orientiert und besaßen als Basis ein Quadrat. Die Cheopspyramide war ursprünglich 147 m (heute 137 m) hoch und hatte eine Seitenlänge von 230 m, damit eine Grundfläche von ca. 5 Hektar. Sie besteht aus ca. 2,3 Millionen Steinblöcken, die durchschnittlich 2,5 Tonnen wogen.
Vor den Pyramiden stand die direkt aus Felsen gehauene, große Sphinx (Höhe 20 m)
als steinerner Grabwächter. Sie hatte die Gestalt eines Löwen mit Menschenkopf,
der ursprünglich wahrscheinlich die Gesichtszüge des Herrschers Chephren trug.
Wenn Cheops, was wahrscheinlich ist, nur 23 Jahre regiert hat, mussten die
ägyptischen Handlanger, Steinbruchsarbeiter, Handwerker und Maurer (es wurden
keine Sklaven eingesetzt), damit die Pyramide bei seinem Tode fertig wurde, an
jedem Tage 800 Tonnen insgesamt aus dem Berg brechen, behauen, heranschaffen,
verlegen, was, so glaubte man, 100 000 Mann erforderte (Jean Vercoutter). Sie
waren hauptsächlich für die Überschwemmungszeit, in der keine Felder bestellt
werden konnten, zwangsverpflichtet. Die Kalk- und Granitsteine mussten vom
Nilufer herangeschafft werden. Das Brechen der Steine erfolgte, indem man Löcher
in den Fels meißelte, Holzkeile einführte und diese mit Wasser begoss. Durch das
Aufquellen des Holzes wurde der Stein vom Felsen gesprengt. Wenn das ganze Land
überschwemmt war, fiel diese Arbeit leichter aus, da man dann die Steinblöcke
auf Flößen befördern konnte. Die durchschnittlich 2,5 Tonnen schweren
Steinblöcke wurden über das Land auf Ziehschlitten oder Rundhölzern
transportiert, die durch Menschen fortbewegt wurden. Aus den Versorgungslisten
ist bekannt, dass der Arbeiter 2 Kilo Brot, Gemüse und ein Stück Fleisch täglich
und ein Leinengewand zweimal im Monat erhielt. An der Baustelle wurden die
Steinblöcke mit primitiven Werkzeugen behauen und bemalt. Um das Fundament der
Pyramiden waagrecht zu machen wurde in dem felsigen Untergrund eine Terrasse
angelegt und mit Wasser aufgefüllt. Mit Hilfe von Stäben und Bindfäden, die sie
auf der Wasseroberfläche hielten, schafften sie eine künstliche Horizontale.
Als Transportwege wurden entlang der Seiten der Pyramiden breite Rampen
angelegt. In Kolonnen von 18 - 20 Mann schleppten die Arbeiter die Steinblöcke
die Rampen hinauf und setzten sie an den richtigen Platz. Als letztes schlugen
Maurer von der Spitze beginnend die überstehenden Kanten ab, so dass die
Pyramiden glatte Seitenflächen erhielten.
Der Bau der Pyramiden war ein Akt tiefster Religiosität. Nach dem ägyptischen
Glauben lebte der Tote im Jenseits weiter. Die Grabstätte war also als Festung
anzusehen, denn der Tote durfte nicht zerstört werden, damit die Seele zum Leib
zurückfinden konnte. Deshalb machte man zusätzlich den Leichnam mit Natron oder
Pech unverweslich und wickelte ihn in Leinentücher. Über das Gesicht legte man
eine Totenmaske. Viele Mumien konnten so bis heute erhalten bleiben. Auch das
Innere der Pyramiden und die Grabbeigaben sind Zeugen der Religion. So gab es
neben der Totenkammer noch Aufenthalts- und Vorratsräume. In diesen Grabkammern
wurden Gefäße mit Speisen und Getränken aufgestellt. Die Pharaonen nahmen auch
einen großen Teil ihres Reichtums mit ins Grab: Schmuck, Waffen, kostbare
Geräte. Das führte schon im alten Ägypten zu Plünderungen.
Für die alten Ägypter endete das Leben nicht nach dem Tode des Körpers.
Kunstvoll ausgeführte Begräbnisriten und -gebräuche sicherten ihnen das
Weiterleben. Die Mumie ist der bekannteste Ausdruck dieses Glaubens.
Die für uns makabere Kunst des Einbalsamierens erreichte ihre Vollendung in
Theben. Sie war in Ägypten mindestens 5000 Jahre lang bekannt und wurde bis etwa
500 Jahre nach Christi Geburt ausgeübt. Die Menschen, die die Arbeit
verrichteten, waren in gesetzlich bestimmten Gilden zusammengeschlossen.
Die Mumifizierung konnte in drei verschiedenen Weisen ausgeführt werden. Die
kunstvollste und teuerste Methode bestand darin, das Gehirn mit einer besonderen
Eisensonde durch die Nase zu entfernen, ohne das Gesicht im geringsten zu
verletzen. Die Eingeweide wurden durch eine Schnittöffnung in der Seite des
Leichnams herausgeholt. Der so entstandene Hohlraum wurde mit Myrrhe, Anis und
sonstigen wohlriechenden Gewürzstoffen gefüllt, der Körper zusammengenäht und
längere Zeit in kohlensaurem Natron aufbewahrt. Danach wurde er sorgfältig
gewaschen und in Streifen feinen Leinens, das in Harz getränkt war,
eingewickelt. Dem Historiker Diodorus zufolge kostete diese Einbalsamierung ein
Talent in Silber, nach heutiger Umrechnung über 700 ägyptische Pfund.
Die zweite Methode war weit weniger kompliziert. Die Innereien wurden zerstört,
das Gehirn an seinem Platz belassen und der Körper in Natron eingetaucht. Dies
kostete nur die Hälfte und löste alles außer Haut und Knochen auf. Die dritte
Methode war die gebräuchlichste, da sie am billigsten war. Ein starkes
Adstringens wurde in den Körper eingeführt und dieser in Salz eingelegt. Das
Ritual dauerte insgesamt 70 Tage. Wenn auch die inneren Organe mumifiziert
werden sollten, wurden sie herausgenommen, in Palmöl gewaschen und mit
Gewürzkräutern aromatisiert, danach in Krügen versiegelt. Nur das Herz blieb im
Leichnam. Die Krüge wurden zusammen mit der Mumie beigesetzt.
Man glaubte, dass der Tote einen langen, einsamen Fluss namens Tuat entlang
reisen musste, bevor er sich der Herrlichkeit von Re nähern durfte. Der Tuat,
der weder über noch unter der Erde zu suchen war, hatte seine Quelle am Westufer
des Nils, floss erst nach Norden, dann nach Osten und strömte schließlich
dorthin, wo die Sonne aufging. Er teilte sich in zwölf Abschnitte und begann und
endete in jeweils einer Kammer. Wenn die Verstorbenen ihre schreckliche Reise
fortsetzten, wurde die Dunkelheit immer stärker; fürchterliche Ungeheuer und
Reptilien tauchten aus den Tiefen des brodelnden Wassers auf. In den letzten
Abschnitten wurde es Stück für Stück heller, bis die letzte Kammer erreicht war.
Der Sinai bot den ersten Christen Zuflucht vor ihren römischen Verfolgern. Außer
Schutz fanden sie an diesem abgeschiedenen Ort auch alle Bedingungen für ein
kontemplatives Leben.
Während der Kreuzzüge erlaubte Saladin einigen Kreuzfahrern hier herzukommen, da
er trotz der Entschlossenheit, mit der er in die Schlacht für den Islam zog, den
Glauben seiner Gegner tolerierte.
Das Kloster wurde auf Anordnung des Kaisers Justinian gebaut. Es war als
Klosterfestung konzipiert, doch nach seiner Fertigstellung meinte der Kaiser, es
sei aus strategischer Sicht misslungen. Der Architekt und die übrigen
Verantwortlichen wurden hingerichtet; später wurden nie wieder Gewalttaten mit
dem Katharinenkloster in Verbindung gebracht. Bis zum heutigen Tag wurde es nie
angegriffen, und die Mönche lebten jahrhundertelang in Frieden. Die umliegenden
Brunnen sind niemals versiegt und ein kleines grünes Tal konnte dadurch
kontinuierlich gedeihen. Napoleon interessierte sich ganz besonders für das
Katharinenkloster. Er arrangierte eine Expedition für zwei seiner Archäologen.
Im Kloster zeigten ihnen die freundlichen Mönche ihre heiligen Schätze, darunter
einen Sarg mit den Gebeinen der heiligen Katharina, unbezahlbare
Bilderhandschriften, den Brunnen des Jethro und eine kleine Kapelle innerhalb
der Klostermauern an der Stelle, wo Moses brennender Dornbusch stand. Hier
wurden schon seit 1300 Jahren Kerzen aufgestellt.
Eine auffallende Erscheinung stellt auch die Moschee dar, die im Jahr 1106
während der fatimidischen Epoche Ägyptens innerhalb der Klostermauern errichtet
wurde. Sie gilt als Symbol für die Achtung zwischen Islam und Christentum, die
es in Ägypten immer gab.
Bemerkenswert ist die Bibliothek, in der allein 2250 griechische und 600
arabische Manuskripte, dazu einige hundert Bände in anderen Sprachen aufbewahrt
werden.
Hinter dem Kloster erhebt sich der Gebel Mus (Mosesberg), wo Moses die Zehn
Gebote empfangen haben soll. Man kann ihn über eine Treppe (3750 Stufen), die
die Mönche in den Fels gemeißelt haben, besteigen.